Seit mehreren Jahren verstehen Marken weltweit langsam, dass sie sich den neuen digitalen Realitäten anpassen müssen. Das bedeutet nicht nur sich auf wirtschaftlicher Ebene den digitalen Absatzmärkten zu öffnen und das Werbebudget auf Social Media zu setzen, sondern eben auch die Markenvisualität für den digitalen Raum zu schärfen und zu verbessern. So erfasst eine Branche nach der anderen der Drang nach mehr Usability, verbesserter Lesbarkeit und visueller Optimierung für die kleinen Bildschirme, auf die wir mittlerweile durchschnittlich fast vier Stunden pro Tag unsere Aufmerksamkeit richten.
Und wir alle wissen, dass Aufmerksamkeit die Währung dieser neuen digitalen Realität ist.
Die Jagd nach den letzten Prozentpunkten visueller Optimierung zwingt die Marken in einen Spagat, der schon vor einigen Jahren in der Markentheorie erkannt wurde und von Jochen Rädeker in seinem Buch ›Brand Design‹ bereits treffend beschrieben wurde: Auf der einen Seite müssen sich Marken den visuellen Regeln des Webs beugen und maximal benutzerfreundliche – also gelernte und gewohnte – Gestaltungsmuster aufgreifen. Auf der anderen Seite müssen sie weiterhin maximale Einzigartigkeit zur Wettbewerbsdifferenzierung ausstrahlen. Ein Paradoxon, welches schwer zu lösen ist.
Keine Frage, viele tradierte Marken benötigen dringend eine ordentliche Portion Usability und visueller Optimierung, um die nächsten Jahre zu überstehen. Zu lange haben sich die Brand Manager:innen auf ihre repräsentativen Awareness-Umfragen und knuddeligen lila Kühe verlassen. Sie haben allerdings einen klaren Vorteil gegenüber den neuen trendigen Tech-Startups: Sie haben über Jahrzehnte Identitäten geschaffen, die ihre Marken emotional aufgeladen haben und Zielgruppen, abseits von ihren Produkten, an sie bindet.
Auf der einen Seite müssen sich Marken den visuellen Regeln des Webs beugen und maximal benutzerfreundliche – also gelernte und gewohnte – Gestaltungsmuster aufgreifen. Auf der anderen Seite müssen sie weiterhin maximale Einzigartigkeit zur Wettbewerbsdifferenzierung ausstrahlen.
Im Bereich der nun emporkommenden digitalen Produkte und Software-as-a-Service (SaaS) Anbieter sind seit jeher die UX-Designer:innen und Performance Gurus an vorderster Front der Markenentwicklung. Und das zeigt sich in revolutionären und intuitiven Produkten wie nie zuvor. Jedoch stellt sich durch diese einseitige Fokussierung der gegenteilige Negativeffekt ein: Eine nie dagewesene Identitätslosigkeit.
Alles wird der heiligen Usability gnadenlos untergeordnet. So ergibt sich eine ozeangroße Schüssel aus visuellem Einheitsbrei: Maximal kurze und gut lesbare, serifenlose Namings, Roboto als Hausschrift und einem Designprinzip auf Basis der ›YouTube Top Design Trends für 20XX‹. Das Produkt wird dann meist in leblosen Clay-Mockups präsentiert, um auch ja keine Angriffsfläche hinsichtlich der Device-Marke zu bieten – oder sogar noch schlimmer: hinsichtlich der Hand, die das Device hält. Symptomatisch für diese Entwicklung ist sicherlich auch der Illustrationsstil ›Corporate Memphis‹, der mit seinen harmlosen, flexiblen Figürchen die gesamte Tech-Szene erschlossen hat und die Performance-Zahlen aufgrund der einfachen Handhabung weiter nach oben schraubt.
Dass alles immer irgendwie ›gleicher‹ aussieht ist nicht nur ein Gefühl, welches einem beim Scrollen durch den Newsfeed stetig begleitet. Mittlerweile lässt sich dieses Phänomen auf Basis von genutzten Layouts, Farbsystemen etc. sogar messbar nachweisen. Der digitale Raum wird also tatsächlich konformer, homogener und damit letztlich auch gewöhnlich und beliebig. Diese schleichende Konformität wird sich auf lange Sicht als klarer Nachteil hinsichtlich einer jeden Markenentwicklung auswirken. Auf dem Schulhof hatten wir früher ja auch nicht gerade viel Sympathie für Mitläufer:innen. Genauso verhält sich die Zielgruppe, die die benutzerfreundlichen Produkte gerne ausnutzt, aber die Marke fallen lässt, sobald das nächste, noch bessere Produkt daherkommt – und es wird ohne jeden Zweifel kommen.
Um in der Schulhof-Metapher zu bleiben: Wir wollen Persönlichkeiten folgen, die individuell, einzigartig und besonders sind. Persönlichkeiten, die sich in ihrer eigenen Authentizität gegen etwas auflehnen und Menschen mitreißen können. Und natürlich gibt es auch im grauen Meer der Startup-Blase einige wenige Marken, die genau dies sehr erfolgreich machen. Beispielsweise schaffen es große, dynamische Disruptoren wie N26 ein klares Identitätsdesign zu ihrem Vorteil zu nutzen. Aber auch junge Organisationen, wie das Hamburger Startup Tomorrow haben verstanden, wie sie ihre Werte nach außen kommunizieren können. Nur so entsteht ein Bild der Marke und zeitgleich ein Bild, wofür die Marke steht – auch auf den kleinen Bildschirmen.
Unser Ziel als Markenagentur ist es, genau dieses oben aufgeführte Paradoxon zu knacken. Wir müssen eine Einzigartigkeit finden, die innerhalb der bekannten Regeln des digitalen Kosmos funktioniert. Das bedeutet emotionale und tradierte Marken in die digitale Realität zu überführen, ohne ihre Herkunft zu ignorieren. Aber jungen, digitalen Marken müssen wir das Verständnis und die Bedeutung der eigenen Identität näherbringen, sowie dieser visuell und sprachlich Ausdruck verleihen. Sonst werden sie in der Belanglosigkeit verschwinden.